Alex und Sandra am Startplatz mit dem Mt. Blanc im Hintergrund
Mt. Blanc du Tacul und die Aufstiegsroute mit dem Startplatz (ganz links) in der Sonne
Stefan und Blick auf die Aiguille du Midi mit dem Chamonix Tal
Der Wind bläst uns kalt ins Gesicht. Wir sind startbereit. Die Leinen unseres Biplace Edel Galaxy sind genauestens kontrolliert. Wir sammeln uns noch bevor wir losstarten. Wir schwitzen beide und sind müde. Wir hoffen, dass wir genug Kraft haben, schnell genug zu laufen und nicht im Schnee einzubrechen, denn wir stehen auf 4200 m über dem Meer in der Nähe des Gipfels des Mt. Blanc du Tacul, ein Vorgipfel des Mt. Blanc und blicken 3200 Höhenmeter hinunter ins Tal von Chamonix. Aber zuerst: wie sind wir dort hingekommen?
Sandra und ich sind schon unzählige Male gemeinsam mit dem Biplace gestartet, noch niemals aber verbanden wir eine Bergtour mit dem anschliessenden Flug ins Tal. Lange Zeit schon war es unser Traum gemeinsam den Mt. Blanc du Tacul zu besteigen und danach ins Tal zu gleiten. Stefan, ein Freund und Fliegerkollege von mir, und ich hatten schon zwei Jahre zuvor mit Single-Flügen vom selben Gipfel und vom Dome de Gouter (4300 m) Erfahrung gesammelt. Mit den Tandemschirmen allerdings waren wir dort noch nie unterwegs.
Eigentlich sind wir, Sandra und ich, es nicht gewohnt Bergtouren in solcher Höhe durchzuführen, und wir beide hatten Sorge, ob wir trotz der dünnen Luft und des schweren Biplace-Gepäcks den Anstieg durch Gletschergebiet schaffen könnten. Natürlich muss am Gipfel noch genug Kraft vorhanden sein den Start gewissenhaft durchzuführen oder im Falle widriger Flugbedingungen den Rückmarsch anzutreten. Während des Sommers trainierten wir fleissig mit dem Moutainbike, um uns ausreichende Konditionsreserven zu verschaffen, wenn es uns schon an genügender hochalpiner Erfahrung mangelte.
An einem ruhigem Herbstwochenende war es dann soweit, der Wetterbericht versprach schwachwindige Verhältnisse bis auf über 4000 m. Ich rief Stefan und seinen Bruder Günther am Abend an, da auch sie planten bei der nächsten Möglichkeit mit ihrem BiBeta den Versuch zu wagen. Wir wollten uns um 8 Uhr an der Talstation von der Aiguille du Midi Bergbahn treffen. Wir verpackten Tourenausrüstung (Seil, Pickel, Steigeisen,...) und Gleitschirmausrüstung in zwei Tourenrucksäcke, die dann 13 und 19 kg wogen.
Als wir um 6:45 Uhr von Genf losfuhren, lag noch dichter Nebel über der Landschaft. Eine Stunde später, in Chamonix angekommen, konnten wir die Berge nur schemenhaft hinter der Nebelwand erkennen, aber der Wetterbericht hatte sonniges Herbstwetter vorhergesagt.
An der Talstation fanden sich ausser uns auch noch eine Handvoll anderer Gleitschirmflieger ein, soweit ich allerdings überblicken konnte, war sonst niemand mit dem Biplace unterwegs. Die Gondel brachte uns in zwei Sektionen auf die Aiguillle du Midi in 3800 m Höhe. Von hier aus blickten wir auf das Nebelmeer unter uns, das sich später noch auflösen sollte. Nachdem wir die Steigeisen angelegt und uns in das Seil eingebunden hatten, begannen wir mit unserer Tour. Die erste Nervenprobe wartete gleich auf uns: der Eisgrat, über den wir zuallererst ca. 300 m auf den Gletscher des Col du Midi absteigen mussten. Ein halber Meter Breite steht zur Verfügung, um einen Fuss exakt vor den anderen zu setzen, denn auf der einen Seite geht es in etwa 300 m hinab, nur unterbrochen durch eine gähnende Gletscherspalte, und auf der anderen Seite fällt die Wand steil 1500 m hinunter, mit freiem Blick bis nach Chamonix.
Gut unten angekommen überquerten wir den flachen Gletscher und der eigentliche Aufstieg, bei dem es gilt 700 Höhenmeter zu überwinden, begann. Für die Jahreszeit war es ungewöhnlich kalt und ein leichter Wind strömte uns vom Berg aus entgegen. Jeder von uns hoffte, dass die Sonne, die unsere Seite des Berges noch nicht erreicht hatte, stark genug werden w±ürde, um den Bergwind abflauen zu lassen, der einen Start auf dem Gipfel unmöglich machen würde.
Wir fanden recht bald ein Tempo, das allen von uns entsprach und gingen bewusst langsam, um durchzuhalten und ja nicht höhenkrank zu werden. Sandra und ich, gemeinsam auf unserer ersten hochalpinen Tour, waren recht guter Dinge und kamen zügig voran, doch was wir nach ungefähr einstündigem Aufstieg erblickten, dämpfte unseren frohen Mut. Eine Gletscherspalte tat sich vor uns auf, die es zu überqueren hieß. Mit Hilfe von Pickel und Seil kletterten wir über den mächtigen Eisschlund. Glücklich und unbeschadet auf der anderen Seite angekommen, setzten wir unseren Aufstieg fort. Unsere Hoffnung auf gute Wetterverhältnisse wurde immer stärker, je steiler der Aufstieg wurde und je mehr Gletscherspalten wir überkletterten, denn ein Rückmarch würde bedeuten, die Spalten nochmals überqueren zu müssen.
Unsere Stimmung war wieder auf dem Höhepunkt als wir den steilsten Teil des Aufstieges hinter uns hatten und die Sonne uns zu wärmen begann. Wir wussten, es war nur mehr eine halbe Stunde bis zu Startplatz. Froher Dinge legten wir den letzten Teil unsere Expeditition zurück. Nach insgesamt vier Stunden erreichten wir erschöpft den Gipfel mit leichten Anzeichen schlechter Höhenakklimatisation: Kopfschmerzen und Übelkeit. Der wundervolle Ausblick liess uns das aber schnell vergessen: die Bergwelt lag im Sonnenschein vor uns, der Nebel im Tal hatte sich tatsächlich aufgelöst und das allerwichtigste: der Startplatz präsentierte sich von seiner besten Seite. Eine gute Brise strömte uns vom Tal aus entgegen, der Schnee war hart und wir brachen nicht ein.
Der Startplatz ist ein breiter Rücken, der sich nach Westen hin ausdehnt und flach abfällt. Nach Norden hat man circa 40 m ideale Startneigung bevor der Berg steil Richtung Col du Midi abfällt. Der Wind kam aus nördlicher Richtung. Ich schritt 20 m vom Startplatz aus in Windrichtung und prägte mir den Startabbruchpunkt genau ein, um nicht der Versuchung zu erliegen, im Falle eines zu langen Startlaufes, hervorgerufen durch den niedrigen Luftdruck, diesen sicheren Punkt in Richtung Steilhang oder Gletscherspalten zu überlaufen. Nach einer kurzen Pause, in der wir Zeit hatten das Panorama zu geniessen, machten wir uns bereit.
Nun spürte ich deutlich den Sauerstoffmangel, und ich achtete ganz genau darauf, den Schirm ordentlich auszulegen und die Leinen besonders gewissenhaft zu sortieren. Sandra mittlerweile, klagte wieder über Kopfschmerzen und Übelkeit. Jeder Schritt war eine Mühsal. Nach einer Weile jedoch, waren wir vier bereit zum Start. Sandra und ich sollten als erste starten, da wir doch nur begrenzte Bergerfahrung hatten und nicht riskieren wollten, dass wir beide alleine den Rückmarch antreten müssen.
Der Wind stand gut an, also leiteten wir unsere eingespielte Startprozedur ein: drei, zwei, eins, los; Sandra und ich liefen los, der Schirm kam über uns, langsamer als gewohnt, aber wir waren ja auf über 4000 m, doch was war das? Eine Böe von rechts trieb uns den Schirm nach links, bevor wir noch abheben konnten. Ich entschied mich, den Start abzubrechen, da ich nicht riskieren wollte, zu weit unterlaufen zu müssen und dadurch der Gefahr zu unterliegen, in eine versteckte Gletscherspalte zu brechen.
Schweiss überströmt und völlig außer Atem kamen wir bei Stefan und Günther wieder an und legten erneut aus. Nochmals Leinen sortieren. Die Kopfschmerzen von Sandra wurden immer schlimmer und ich merkte deutlich die dünne Luft und körperliche Anstrengung.
Hier stehen wir also: Der Wind bläst uns kalt ins Gesicht. Wir sind startbereit. Die Leinen unseres Biplace Edel Galaxy sind genauestens kontrolliert. Wir sammeln uns noch bevor wir losstarten. Wir schwitzen beide und sind müde. Der Wind bläst schön von vorne: drei, zwei, eins, los; diesmal klappt es, der Schirm kommt schön über uns und wir sind in der Luft.
Welch unbeschreibliches Gefühl! Mit welcher Leichtigkeit wir den eisigen Boden verlassen, unter uns die bizarre Gletscherlandschaft, die Berge, der Mt. Blanc du Tacul, der Mt. Blanc selbst, zum Greifen nah. Lautlos schweben wir durch die Luft. Nun haben wir 3200 m Flughöhenmeter in absolut ruhiger Luft zu geniessen. Wir machen einen Vollkreis und betrachten in aller Ruhe unsere Aufstiegsroute, wir haben es geschafft, wir sind hier aufgestiegen und gleiten jetzt mühelos durch diese unwirkliche Eiswelt. Weiter fligen wir zur Aiguille du Midi± und sehen, dass die anderen beiden auch schon fliegen. Nun fliegen wir nach Osten Richtung Argentiere, bis wir das Mer de Glace, jenes Gletschermassiv, das sich vom Col du Midi bis zum Chamonixtal ausdehnt, sehen können. Dann queren wir das Chamonixtal. Langsam kommen wir tiefer und nähern uns dem herbstlich gefärbten Wald. Warme Luft strömt uns aus dem Tal entgegen. Wir gleiten langsam Richtung Chamonix, dem Landeplatz entgegen. Wir landen nach einem 40 minütigen Gleitflug glücklich, aber erschöpft in Chamonix. Nachdem die beiden anderen auch sicher gelandet sind, liegen wir noch lange in der Wiese am Landeplatz, wo wir gemeinsam auf unsereabenteuerlichen Erlebnisse zurückblicken.
AF AK